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Interview mit Ex-LFV-Pr?sident Rainer Hertle



Den Leipziger Fußballverband gibt es nicht mehr, als Kandidat für den Vorsitz des Fußballverbandes der Stadt Leipzig waren Sie nicht erfolgreich – was tun sie jetzt?
Beim Verbandstag der Stadtfußballer bin ich durchgefallen, allerdings war es schon im Vorfeld klar. Nachfolgend hatte ich von fünf Vereinen den Vorschlag bekommen bei ihnen in verantwortlichen Positionen Aufgaben zu übernehmen. Der erste Gedanke kam von RB Leipzig, welchen ich angenommen habe. Mir wurde eine interessante Aufgabenstellung vorgelegt, die auf der Grundlage meiner Erfahrung und meines erarbeitenden Wissens basiert.
 
Wie zufrieden sind Sie mit der Entscheidung des SFV-Verbandstages, dass es seit dieser Saison das 13er – Modell der Verbände gibt? Wurde eine große Chance verpasst?
Sie wissen, dass ich ein 5er Modell erarbeitet hatte, welches aus meiner Sicht langfristig hätte wirken können, am Ende spielt es aber keine Rolle welche Struktur wir haben. Entscheidend ist nicht die Struktur der Organisationen und Verbände, sondern die Fußballpyramide. Es besteht jedoch die Verpflichtung, diese mit dem geringsten Aufwand zu organisieren. Wir sollten jetzt erst einmal 13er - Modell die notwendige Ruhe zur Umsetzung geben.
 
In der Vorwoche gab der neue Präsident des Stadtverbandes in der LVZ ein Interview, welche Stellungnahme geben Sie dazu ab?
Wer seine Antworten liest, hat die grundsätzlichen Probleme der Wochen und Monate vor und nach der Wahl erkennen müssen. Sie bestehen darin, dass man sich nur mit personellen Fragen beschäftigt hat und nicht die inhaltlichen Angelegenheiten in den Vordergrund rückte und damals die Vereine völlig vergaß. Bestimmte Probleme werden sicherlich im nächsten Jahr nicht mehr anstehen, insofern muss man selbst dem neugewähltem Vorstand das Recht des Lernens zubilligen.
 
Hat das Ehrenamt im gesellschaftlichen Wandel noch Zukunft. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Auf unserer Ebene mit dem Ehrenamt gib es keine Alternative. Leider wird die inhaltliche Ausgestaltung in den einzelnen Vereinen stets sehr unterschiedlich sein. Es kommt auch darauf an, wie es uns gelingt Menschen in die Prozesse der Vereine einzubeziehen. Vor allen Dingen müssen unsere Aktiven darauf aufmerksam gemacht werden, dass es nach ihrer Zeit des Fußballspielens auch noch Möglichkeiten gibt für den Fußball zu wirken.
 
Wie kann man einer Bezahlung von Fußballern in den unteren Ligen entgegenwirken? Ist das überhaupt sinnvoll? Was bewegt Vereinsfunktionäre zu solchen Entschlüssen?
Wenn in den unteren Klassen Zahlungen an Spieler erfolgen, dann meinen Funktionäre das dies notwendig ist, um entweder den Aufstieg zu erreichen oder die Spielklasse zu halten. Wobei oftmals der Fall vorliegt, dass die Zahlungen nicht durch den Verein, sondern durch Privatpersonen erfolgen. Im fußballerischen Sinne bringt uns dies aber nicht voran. Wer lange dabei ist und die Bewegungen in den einzelnen Spielklassen beobachtet, der merkt, wo ein Förderer an die Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten gekommen ist.
 
Die Vereine beklagen eine ständige Finanznot. Ist das ein ewiges Problem seit es den Fußballsport gibt oder ist die tatsächliche Situation wirklich eine schwierigere als es früher der Fall war?
Die Klagen der Vereine über ihre finanzielle Lage sind so alt wie der Fußball selbst. Bei manchen vollzieht sich dies auf recht hohem Niveau. Oft ist zu beobachten, dass die Mittel nicht in die wichtigste Grundlage der Vereine, nämlich den Nachwuchs, gelenkt werden, sondern in anderer Weise zum Einsatz gelangen.
 
Nichtsdestotrotz hat sich augenscheinlich viel auf den Leipziger Sportstätten getan. Wie haben Sie die Entwicklung in ihrer Amtszeit verfolgt? Ist noch mehr, insbesondere durch eigene Arbeitsleistung, möglich?
Es ist richtig, dass sich auch in den letzten 20 Jahren viel auf unseren Sportplätzen getan an. Es gibt jedoch ein Problem der fehlenden fortlaufenden Maßnahmen, da sich nach der Umsetzung eines Projekts nur selten um die Werterhaltung- oder Verbesserung Gedanken gemacht wird. Viele Anlagen werden jetzt nur auf Verschleiß gefahren. Damit tritt bei vielen Vereinen eine schleichende Verschlechterung ein, die Situation hatten wir schon immer, so dass nach zirka 40 bis 50 Jahren Neubauten erforderlich sind.
 
Sie waren auf nahezu jedem Fußballplatz im Leipziger Bezirk. Fehlt Ihnen noch einer? Was für Anlagen mögen Sie persönlich lieber?
Im Herbst 2008 habe ich im Bezirk Leipzig den letzten Sportplatz in Dölzig aufgesucht gehabt. Ich bin zwar kein Stadion-Hopper, aber seit 1953 habe ich mir mehrere Jahrzehnte Zeit gelassen alle Anlagen zu sehen. Bei einigen Objekten muss man allerdings feststellen, dass es sie heute aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr gibt, z.B. Magdeborn, Eythra, oder der Vorwärts-Sportplatz in der Landsberger Straße in Leipzig. Jede Platzanlage hat ihre Besonderheiten und brachte mir immer wieder Erkenntnisse. Besonders schöne Anlagen habe ich gesehen in Otterwisch, die Clade in Naunhof und das Zentralstadion bis zum jetzigen Zustand, zumal ich da viele internationale Spiele selber erleben konnte.
 
Die Fußballfans der Region träumen seit einem Jahr wieder von langen Europapokal-Nächten in der Red Bull Arena (ehemals Zentralstadion) seit dem Beginn des RB Leipzig – Projektes. Idealismus oder Realismus oder pure Sehnsucht?
Die Fußballinteressierten werden sicherlich noch einige Jahre auf Europapokalspiele in Leipzig warten müssen. Es kommt Sehnsucht und Realismus zueinander. Ich bin fest überzeugt, dass RB diese Wünsche erfüllen kann.
 
Der FC Sachsen und der VfB Leipzig hatten ihre Chance. Sie wurden nun überholt ohne eingeholt zu werden. Ist eine Koexistenz aller drei Vereine auf Dauer machbar?
Es hängt vieles von Personen ab und eine Koexistenz besteht auch jetzt schon. Es ist nur die Frage, was versteht man darunter.
 
Im Schatten davon haben innerhalb der Stadt die BSG Chemie und Roter Stern Leipzig die meisten Zuschauer. Hat der neutrale Kreisklassenkick ausgedient und zieht nur noch das, was polarisiert?
Der Fußball in den untersten Klassen hängt nicht von den Zuschauern ab, sondern von den Spielen selber und das Menschen an diesem Sport Freude haben.
 
Die Besuchszahlen der Bezirksvereine lesen sich allwöchentlich eher mager. Gibt eine Großstadt nicht mehr her oder wird zu wenig getan? Bei vielen Vereinen findet sich nicht mal mehr jemand der eine Bratwurst brät.
Wenn ihre Frage berechtigt wäre, dürften in der 3. Kreisklasse schon jetzt keine Spiele mehr stattfinden.
 
Sie sind ein ausgesprochener Förderer des Frauenfußballs. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Der Frauenfußball ist die große Chance für den Fußballsport aus den verschiedensten Gründen heraus. Ich bedaure es, dass viele Vereine in den zurückliegenden Jahrzehnten oft andere Ansichten hatten. Es ist in vielen Köpfen, des männlichen Teils der Funktionäre schon eine Veränderung eingetreten, aber leider noch nicht im ausreichenden Maße.
 
Wie ist die Sportpolitik der Stadt Leipzig einzuschätzen?
Die Sportpolitik der Stadt Leipzig wird, wie in den meisten Städten, diktiert von den finanziellen Gegebenheiten. Viele Fußballer sind der Meinung, dass nicht genug Unterstützung für sie da ist. Dies ist sicherlich richtig, man sollte sich aber manchmal beim Meinungsbildungsprozess auch auf die andere Seite begeben, um die Zwänge die bestehen zu erkennen.
 
Wie ist der Einsatz von Torkameras zu bewerten? Die wöchentliche Diskussion über drin oder nicht drin würde es nicht mehr geben, Nostalgiker gehen auf die Barrikaden, andererseits wäre der Gerechtigkeit geholfen. Aber wo bliebe dann die Gerechtigkeit in der Kreisklasse?
Diese Fragen betreffen nur den Profifußball. Auf unserer Ebene würde das unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht lösbar sein. Es immer wieder schön, wenn man trefflich über die Entscheidung von Schiedsrichtern streiten kann.
 
Ihr Lieblingsspruch ist „Fußballgespielt wird immer“, nun gab es aber in der Vergangenheit vermehrt Spielabbrüche. Die Sportler mussten kapitulieren. Haben sich die Probleme von den höheren Ligen nach unten verschoben?
Wer die lange Geschichte des Fußballs durchforstet, wird feststellen, dass die Zahl der Spielabbrüche sich nicht erhöht hat. Wir hatten sie immer, nur unter Umständen aus unterschiedlichen Gründen heraus. Richtig ist, dass das Verhalten der Zuschauer sich verändert hat. Bei einigen Vereinen vollziehen sich die Vorkommnisse nicht mehr spontan, sondern organisiert. Für diesen Personenkreis trifft der Begriff Zuschauer nicht zu. Es sind unter Umständen Gewalttäter, die den Fußball als ihre Bühne betrachten. Die dahinter stehenden gesellschaftlichen Probleme, kann der Fußball nicht lösen, auch wenn wir uns mit aller Kraft dieser Problemlage zuwenden müssen.
 
Wie hat sich der Systemwechsel vom Sozialismus zum Kapitalismus für den Verband in den 90er Jahren dargestellt? Wurde alles über den Haufen geworfen oder wurde eine gesunde Mischung aus beiden Systemen gefunden?
Die Probleme waren für die Vereine größer als für die Verbände, da zum Beispiel die finanziellen Grundlagen über die Trägerbetriebe weggebrochen sind. Viele Vereine mussten in den Jahren 1990 bis 1992 ihre Tätigkeit deshalb einstellen. In den Vereinen war weiterhin zu verzeichnen, dass eine große Anzahl von Spielern in Vereine der alten Bundesländer gewechselt sind und somit ganze Mannschaften nicht mehr gemeldet werden konnten. Das heißt, bestimmte Dinge wie die Regeln änderten sich nicht, aber es war eine große Herausforderung, die komplizierten Bedingungen vor allen in den Vereinen zu meistern. Eins ist klar, die Schmerzen im Fußball haben nicht die Verbände, sondern die Vereine auszuhalten.
 
Vielen Dank für das Interview!




Veröffentlicht am:
16:36:37 15.10.2010